Erneuter Besuch in Westfafrikas einzigartiger Rollstuhlwerkstatt

Gambia-Solidarität Osnabrück unterstützt Menschen mit Handicap

Von Carolin Hlawatsch

Physiotherapeutin und Osteopathin Hildegard Winkler mit Skelett vor ihrer Praxis in Osnabrück (Ihre Kopfbedeckung ist ein Gastgeschenk der Uni Gambia). Ihre Berufserfahrung lässt sie ehrenamtlich in die Hilfe für Menschen mit Behinderung in Gambia einfließen. Foto: Carolin Hlawatsch

Physiotherapeutin und Osteopathin Hildegard Winkler mit Skelett vor ihrer Praxis in Osnabrück (Ihre Kopfbedeckung ist ein Gastgeschenk der Uni Gambia). Ihre Berufserfahrung lässt sie ehrenamtlich in die Hilfe für Menschen mit Behinderung in Gambia einfließen. Foto: Carolin Hlawatsch

 

Osnabrück. Neuen Schwung für die Zusammenarbeit mit einer gambischen Organisation, die sich in ihrem Land für Menschen mit Behinderung einsetzt, vertiefte nun die Gambia-Solidarität Osnabrück auf vielfältige Weise. Die Osnabrücker Physiotherapeutin und Osteopathin Hildegard Winkler und drei weitere Vereinsmitglieder verbrachten dafür den Februar in Westafrika.

Für Hildegard Winkler war es der bereits dritte Aufenthalt in Gambia. „Inzwischen fühlt es sich nicht mehr fremd an. Man trifft Freunde, kennt sich in der Hauptstadt Banjul aus, weiß welche kulturellen Gepflogenheiten und klimatischen Bedingungen einen erwarten“, berichtet sie. Seit 16 Jahren kooperiert die „Gambia-Solidarität im Verein Avanti!“ mit der afrikanischen NGO „Gambian Association for Physically Disabled (GAPD)“. Diese Organisation betreibt eine Rollstuhlwerkstatt in Banjul, in der Patienten mit staatlicher Unterstützung kostenlos versorgt werden. "Das ist einmalig in Westafrika. Menschen mit Behinderung kommen oft von weither angereist, da es in den Nachbarländern Mali und Senegal keine vergleichbare Institution gibt", weiß Hildegard Winkler. 

Gästehaus für Patienten

Ein Problem vor Ort sei es deswegen, alle diese angereisten Patienten während ihrer oftmals langen Wartezeiten unterzubringen. Ein, an die orthopädische Werkstatt angrenzendes, Gästehaus mit jeweils einem Übernachtungsraum für Frauen, für Männer und für Familien, mit einer Küche, einem Aufenthaltsraum und einem Bad soll nun endlich Abhilfe schaffen. Die Gambia-Solidariät Osnabrück unterstützt den Bau des Gästehauses und stellt einen Förderantrag beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Hildegard Winkler sprach in Afrika mit dem Direktor des Gesundheitsministeriums, der die Unterstützung seitens des gambischen Staates zusicherte. Der Bau soll im kommenden Januar beginnen und wird von einem Architekten aus Banjul, sowie gambischen Handwerkern durchgeführt. „Im Sinne einer vernünftigen Entwicklungshilfe sollen schließlich die Menschen vor Ort und nicht eine europäische Baufirma profitieren“, betont Hildegard Winkler. Darauf legt ihr Verein großen Wert. 

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Hildegard Winkler zusammen mit Ebrima, Assistent in der Orthopädie-Werkstatt in Banjul. Ebrimas verkrümmte Beine rühren von einer Polio-Erkrankung her, die ihn in seiner Kindheit traf. Foto: Gambia Solidarität

 

Hilfscontainer aus Osnabrück

Im März 2018 belud die Gambia-Solidarität am Osnabrücker Limberg einen riesigen Container mit orthopädischen Hilfsmitteln und schickte ihn auf die weite Reise nach Banjul. Dort kam er Ende Mai an. Die enthaltenen Rollstühle, Orthesen, Unterarmgehstützen konnten von Mitarbeitern der GAPD sofort verteilt werden „Der Bedarf daran ist dort sehr groß“, weiß Hildegard Winkler, die zusammen mit ihren Mitstreitern im Laufe des Jahres einen weiteren Container schicken möchte. Grundsätzlich solle hinterfragt werden ob es sinnvoll ist, Material nach Gambia oder in andere arme Länder zu schicken. Oft genug gäbe es falsch verstandene Entwicklungshilfe, die die heimischen Märkte kaputtmache. Als Beispiel nennt die Gambia-Solidarität das Schicken von Altkleidern, das die Geschäfte der afrikanischen Schneiderinnen zerstört, sodass sie ihre Verdienstmöglichkeit verlieren und Armut noch verstärkt würde. „Bei dem Material, das wir gesendet haben, ist das anders. Diese Produkte werden in Afrika nicht hergestellt, sodass wir da in niemandes Geschäft eingreifen“, so Hildegard Winkler. Die Orthopädiemechaniker der GAPD bauen die Hilfsmittel um, passen sie den Menschen mit einem Handicap an und ermöglichen ihnen so die Teilhabe an der Gesellschaft. 

Ausbildungsangebot für Frauen

Integration, finanzielle Absicherung und ein unabhängiges Leben soll auch das neue Projekt der GAPD schaffen. Dabei werden Frauen mit körperlicher Behinderung zu Schneiderinnen und Batikerinnen ausgebildet. Osteopathin Winkler reiste mit drei Filmemachern und so entstand eine 50-minütige Dokumentation über das Frauenprojekt. Die Gambia-Solidarität wird diesen Film Mitte 2019 in Osnabrück präsentieren. Im Dezember zeigte der Verein im Osnabrücker Westwerk bereits seinen ersten Film „Small Steps“, indem es vorrangig um die Arbeit in der orthopädischen Werkstatt geht.

 

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Osnabrückerin unterrichtet an Gambia Uni

Neben Gästehaus-Planungen und Filmdreh war Hildegard Winkler vier Wochen lang jeden Tag an der Gambia Universität, der einzigen Uni des Landes, im Einsatz. In einem Seminar unterrichtete sie Studenten in der Manual-Therapie, der Mobilisierung steifer Gelenke. Damit die afrikanischen Studenten die Möglichkeit eines Auslandssemesters haben (sonst aufgrund von deutschen Visum-Anforderungen kaum realisierbar) regte sie bereits vor einiger Zeit eine Patenschaft der Gambia Uni mit der Alice Salomon Hochschule Berlin an.

Eine mit Aufgaben und Begegnungen prall gefüllte Zeit liegt also hinter der Delegation der Gambia-Solidaritat. Nicht gerade ausgleichend waren dabei die Nächte im Gästeappartment der Uni. „Wir waren in einem lebhaften Stadtteil Banjuls untergebracht, direkt neben einer Open-Air-Bar in der tatsächlich jeden Abend laut Reggae gespielt wurde. Es war anstrengend, wie immer aufregend in Gambia und vor allem erfolgreich für das gemeinsame Ziel der GAPD und unseres Vereins“, freut sich Hildegard Winkler. 

Weitere Informationen und Kontakt zur Gambia-Solidarität auf www.avanti-os.de

 

 

Vom 1. bis zum 28. Februar 2019 war wieder eine Delegation von Avanti! zu Besuch in Gambia.

Mittlerweile haben sich die Kooperationen erweitert und so wurden verschiedene Aktivitäten durchgeführt.

Die GAPD betreffend hatten wir ein paar Arbeitstreffen, denn es ist unser gemeinsamer Plan, für die PatientInnen, die die orthopädische Werkstatt aufsuchen, ein Gästehaus zu bauen. Dieses wird zunehmend wichtig, weil die PatientInnen zum Teil lange Anreisewege haben und gezwungen sind in Banjul zu übernachten, damit sie in der orthopädischen Werkstatt versorgt werden können. Für die Finanzierung des Hauses möchte Avanti! einen Antrag beim BMZ stellen. Dieses machten wir bereits um den Container mit Hilfsmitteln zu finanzieren.

Dieser ist übrigens hervorragend angekommen. Die geschickten Hilfsmittel waren innerhalb kürzester Zeit verteilt, so hoch ist der Bedarf. Wir haben nicht nur einen Dank von der GAPD erhalten, sondern auch vom Social Wellfare Departement.

Für die Realisierung des Hausprojektes fordert das BMZ auch einige Leistungen des Empfängerlandes, und so gab es viel zu besprechen und zu planen, denn nur gemeinsam können wir das Projekt stemmen. Wenn alles wie geplant läuft, soll der Hausbau ab Anfang 2020 umgesetzt werden.

Nachdem vor einem Jahr ein Film über die orthopädische Werkstatt der GAPD gedreht wurde (der auf DVD bei Avanti! bestellt werden kann), wurde in diesem Jahr eine Dokumentation über den Frauenflügel der GAPD erstellt.

Ein Projekt innerhalb der GAPD war die Ausbildung von Frauen mit körperlichem Handicap, damit diese für ihren Lebensunterhalt ein Geschäft aufmachen können, der „GAPD Women Wing“.

Gegründet wurde die Frauengruppe im Jahr 1997vom Executive der GAPD.

Die Frauen wurden ausgebildet als Schneiderinnen, Batikerinnen, Stickerinnen und im Herstellen von Seife, Mangomarmelade, Pfeffersoße und Honig.

Für die Ausbildung standen drei Expertinnen für die genannten Berufe zur Verfügung, die dafür von der GAPD engagiert wurden.

Nach der Ausbildung wurden die Schneiderinnen von der UNDP gefördert, damit sie einen eigenen Laden aufmachen konnten. Die anderen Frauen wurden nach ihrer Ausbildung weiterhin von der GAPD betreut.

Leider musste das Ausbildungsprojekt im Jahr 2007 eingestellt werden, weil das Geld für die Durchführung nicht mehr aufzubringen war. So konnten weder die Trainerinnen noch benötigtes Material finanziert werden. Auch waren die Kosten für Fahrten zu der Ausbildungsstätte für die Frauen sehr hoch, besonders weil diese ja ein körperliches Handicap haben. In Gambia findet der Transport für Personen fast ausschließlich über Taxis oder Kleinbustaxis statt. Diese sind natürlich keineswegs barrierefrei.

In der Zeit des Bestehens war das Projekt außerordentlich erfolgreich. Viele Frauen konnten ausgebildet werden und viele von ihnen können sich nun ihren Lebensunterhalt verdienen. Auch wenn ihre Existenz immer auch prekär bleibt.

Die Sicherung der Existenz ist enorm wichtig in einem Land wie Gambia, in dem es keine Sozial- oder Krankenversicherung gibt. Vielen Menschen mit Handicap bleibt nur zu betteln, oder, wenn sie Glück haben, sich von der Familie versorgen zu lassen.

Gerne würde die GAPD dieses Projekt wiederbeleben. Es fehlt aber zurzeit ein Sponsor.

Es gibt nach wie vor hohen Bedarf und es gibt viele interessierte Frauen, die eine Ausbildung absolvieren möchten.

Dabei ist die Ausbildung wirklich enorm qualifiziert. Es ist faszinierend zuzuschauen, wie die Schneiderinnen mit wenigen Handgriffen die schönsten afrikanischen Kleider aber auch alles andere nähen. Die gebatikten Stoffe und Shirts sind kleine Kunstwerke.

Neben Spendengeldern für dieses Projekt sammeln wir ab nun auch gebrauchte Nähmaschinen für die Geschäfte der ausgebildeten Schneiderinnen.

Unser Beitrag als Sponsor für das Projekt kann zurzeit nur gering sein. Wir hoffen auf weitere Sponsoren.

Ein Mitglied von Avanti! baute auch die Zusammenarbeit mit dem Small Teaching Hospital und der Universität von Banjul aus. Die Aktivistin hielt ein Seminar in Manualtherapie ab, für die Studierenden der Physiotherapie. Solche Fachseminare sind ansonsten in Gambia nicht möglich, weil die FachdozentInnen dafür fehlen. Die Ausbildung in Physiotherapie ist sehr rudimentär.