Reisebericht Gambia
Wie alles begann
Im April 2016 hörten wir zum ersten Mal über die Möglichkeit, ehrenamtlich in einem afrikanischen Krankenhaus zu arbeiten. In einem Vortrag berichtete unsere Dozentin Hildegard Winkler von ihrer Reise ins westafrikanische Gambia.
Über die Gambia Solidarität Osnabrück des gemeinnützigen Vereins „Avanti!“ besuchte sie dort als Vereinsvorsitzende sowohl eine Orthopädiewerkstatt als auch das Edward Francis Small Teaching Hospital in der Hauptstadt Banjul. Zudem lernte sie die Physiotherapieschule des Krankenhauses kennen, erfreute dort Schülerinnen und Schüler mit einem Bobath-Konzept-Workshop und informierte sich zusätzlich über die Arbeit der Physiotherapeuten vor Ort.
Mit den Worten „Auch ihr seid alle herzlich nach Gambia eingeladen“ beendete Hildegard ihre Präsentation. Dieses Angebot löste direkte Begeisterung bei Jana, Rene und mir aus. Ein Anruf im Reisebüro, für jeden vier „Impfungen-To-Go“ und schon konnten die Koffer gepackt werden.
Banjul – Wir kommen
Somit begann am 1.Oktober unser Abenteuer am Frankfurter Flughafen. Mit der Royal Air Maroc Fluggesellschaft flogen wir in die marokkanische Hauptstadt Casablanca. Von dort aus ging es weiter zum Banjul International Airport in Gambia. Insgesamt verbrachten wir etwa sieben Stunden in der Luft.
Die erste Nacht schliefen wir bei Maxi, einem afrikanischen Freund von Hildegard, der uns am Flughafen sehr freundlich in Empfang genommen und zu sich nach Hause eingeladen hatte.
Dennoch wussten wir bis dato nicht, wo unsere Unterkunft für die nächsten sechs Wochen sein würde.
Die Ungewissheit und Aufregung löste sich jedoch schnell in Luft auf, als wir am Sonntagmorgen zum Leiter der Physiotherapie, Samba Bah, gebracht wurden. Sowohl er als auch der Rest seiner Familie nahmen uns sehr herzlich auf und beköstigten uns den Tag über mit vielen afrikanischen Leckereien und Getränken. Seine Tochter überraschte uns mit Benachin, einem nationalen Hauptgericht. Neben viel Reis und Tomatenmark enthält es sowohl Süßkartoffeln, gegarte Wurzelknollen, frisches Gemüse, Rindfleisch, Hühnchen oder Fisch und allerlei Gewürze. Gegessen wird es gemeinsam aus einem großen Topf oder von einer Platte. Auch werden die Mahlzeiten lediglich mit der rechten Hand verzehrt, da die linke Hand bei den Muslimen als unrein gilt. Zu dem Reisgericht bekamen wir als Getränk einen Hibiskus-Tee, Wonjo genannt, welcher als gefrorener Fruchtsaft getrunken wird. Er schmeckt besonders fruchtig erfrischend und ähnelt sehr dem bekannten Slush-Eis.
Am späten Nachmittag fuhr uns Samba zu unserer eigentlichen Unterkunft, einer Kleinwohnung. Da man uns als Gastprofessoren aus Deutschland vorstellte, überließ uns der Vermieter diese sogar kostenfrei. Dennoch blieben die allgemeinen Probleme der Strom- und Wasserversorgung auch bei uns nicht aus. Ebenso wie kleine und große Käferfamilien, die uns gelegentlich besuchten. Einige von ihnen machten sich schon bald aus dem Staub, da sie nach unserem Kreischanfall vermutlich einen Hörsturz erlitten.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Dieses Sprichwort bestätigte sich bereits nach wenigen Tagen, denn das Duschen unter Wasserflaschen und auch das Zusammenleben mit den Krabbeltieren wurden mit der Zeit zur Normalität.
Abenteuer Autofahrt
Jeden Morgen sammelte uns Samba an einer nahegelegenen Schule der Kleinwohnung ein und fuhr mit uns zum Krankenhaus. Während der ersten Tage waren die morgendlichen Autofahrten immer wieder ein Erlebnis.
Schaute man aus dem Fenster, sah man viele Kinder und Erwachsene in überfüllten Minibussen oder auch auf den Ladeflächen von LKWs oder alten Pickups sitzen. Bei den Minibussen handelt es sich häufig um ausgemusterte Firmentransporter, die oft noch die deutschen Werbesprüche und -logos tragen. Auch wir machten die Minibusse zu unserem täglichen Begleiter. Man hatte zwar ständig das Gefühl, in einer rappelvollen Sauna zu sitzen, dennoch waren die Fahrten immer spaßig und auch sehr kostengünstig. Haltestellen wie in Deutschland gibt es allerdings nicht. Um mitgenommen zu werden reicht entweder ein Handzeichen aus oder man stellt sich an einen bekannten Sammelplatz.
Im Allgemeinen sind makellose Autos eine absolute Seltenheit auf den Straßen Gambias.
Beispielsweise ist es nicht ungewöhnlich, dass sich zwei von vier Autotüren nur schwer oder gar nicht öffnen lassen. Auch eine beschädigte Tachoanzeige und Hupe, defekte Fensterheber, fehlende Fensterscheibenkurbeln und diverse Autodellen und -kratzer sind übliche Mängel an einem Auto. Darüber hinaus gibt es keine Gurtpflicht für die Mitfahrenden auf der Rückbank, oft sind die Gurte ohnehin gar nicht vorhanden. Der beste Freund des Autofahrers in Gambia ist die Hupe. Sie regelt nahezu den gesamten Straßenverkehr und ist daher im ständigen Gebrauch. Wer die Fahrbahn wechseln oder überholen möchte, die Kreuzung überqueren oder selbst eine Kurve nehmen möchte, greift zur Hupe.
Uns fielen besonders die großen Müllmengen neben und auf den Fahrwegen auf. Auch die Rinnsteine in den Dörfern sind oft voll mit Abfall. Dadurch verbreitet sich an vielen Orten ein abscheulicher Geruch. Einmal im Monat wird ein allgemeiner Putztag, der „Cleaning Day“, ausgerufen. An diesem Tag steht der Straßenverkehr bis nachmittags komplett still. Während dieser Zeit sind überall Menschen auf den Straßen und an den Stränden zu sehen, die Müll aufsammeln, Plätze fegen und anschließend alles verbrennen.
Trotz der großen Bemühungen der Einwohner macht es nicht den Eindruck, dass sie gegen die gesamte Verschmutzung ankommen. Dafür gibt es einfach zu viel Abfall und zu wenig Abfallbehälter in den Ortschaften.
Physiotherapie im Krankenhaus
Die Physiotherapie des Krankenhauses findet sowohl in der Physiotherapieabteilung als auch auf den verschiedenen Stationen statt. Anders als in Deutschland bestimmen die Wochentage, wann welche Fachbereiche behandelt werden. Am Montag und Donnerstag werden beispielsweise ausschließlich neurologische Patienten behandelt. Dienstags ist der Kindertag, d.h. nur pädiatrische Patienten kommen zur Therapie. Die Behandlungen orthopädischer und chirurgischer Patienten werden mittwochs durchgeführt, am Freitag kommen alle vier Fachbereiche vereint vor.
Des Weiteren sind die Physiotherapeuten in vier Teams unterteilt. Es gibt Team A, B, C und D, die sich jeweils aus etwa drei Personen zusammensetzen. Der größte Teil der Mitarbeiter befindet sich noch in der Ausbildung, da diese erst seit zwei Jahren in Gambia angeboten wird.
Zu unserer Überraschung konnten wir uns davon überzeugen, dass bereits in der Ausbildung das Interpretieren von Röntgenbildern gelehrt wird.
Wir Praktikanten wurden jeweils einem Team zugeteilt, welches wir nach der Hälfte unseres Aufenthaltes noch einmal wechselten. Zu Anfang hatten wir die Möglichkeit, viel in Zusammenarbeit mit unseren Teamkollegen zu arbeiten. Dadurch bekamen wir einen guten Einblick über die Behandlung und Vorgehensweise am Patienten. Der gegenseitige Austausch mit den Physiotherapeuten hat uns sehr viel Spaß gemacht. Eigene Ideen einzubringen und Neues zu erlernen machte jeden Arbeitstag zu einem besonderen.
Die erste Begegnung mit den Patienten beginnt immer, genau wie bei uns, mit einer Befundung. Das A und O bei jeder Aufnahme ist vor allem das Blutdruckmessen, denn sehr viele Menschen in Gambia leiden an Bluthochdruck und wissen oft nichts von ihrer Erkrankung. Die Unwissenheit darüber und fehlende Medikamente führen häufig zu Herzerkrankungen, die oft unbehandelt bleiben und schließlich zum Tod führen. Vor allem Schlaganfallpatienten, die zuvor an Bluthochdruck erkrankten, suchen regelmäßig die Physioabteilung auf. An den orthopädischen/chirurgischen Tagen kamen viele Patienten mit jeglichen Frakturen zur Therapie. Oft waren sie Opfer von Verkehrsunfällen, da es auf den Straßen ja teilweise sehr turbulent und wild zugeht. Ober- und Unterschenkelamputationen sind außerdem keine Seltenheit im Krankenhaus. Diabetes mellitus ist der häufigste Auslöser dafür. Denn ebenso wie Bluthochdruck wird Diabetes mellitus in Gambia oftmals zu spät erkannt und therapiert. Aber auch Krankheitsbilder wie zum Beispiel Arthrose und Skoliose tauchten durchaus auf. Die Kinder und Säuglinge kamen unter anderem mit den Diagnosen infantiler Zerebralparese, Frakturen, Prellungen, Luxationen und Lähmungen der Arme durch problematische Geburtsvorgänge oder fehlende Geburtshilfen zu uns.
Einige Behandlungen im Krankenaus ähneln unseren Therapien. Behandlungstechniken wie beispielsweise PNF, die postisometrische Relaxation oder sogar Übungen aus der funktionellen Bewegungslehre sind bekannt und werden mit in die Therapie eingebaut. Anders als bei uns werden bei Patienten nach Frakturen häufig Arm- und Fußbäder eingesetzt, um Muskeln zu entspannen, Schmerzen zu lindern oder eine Schwellung abzubauen. Dazu wird eine große Schüssel, die mit warmem oder kaltem Wasser gefüllt ist, verwendet. Des Weiteren werden oft elektronische Geräte für Behandlungen benutzt. Infrarotlichtlampen, Ultraschallgeräte und Elektrotherapie-Geräte gehören daher zum täglichen Gebrauch. Allerdings nur, wenn der Strom gerade zur Verfügung steht, denn mit Stromausfällen ist in Gambia täglich zu rechnen.
In dem Krankenhaus gibt es zudem eine spezielle Station für Mädchen und Frauen mit Hautverbrennungen und dies nicht ohne Grund: In der Regel wird am offenen Feuer oder an einem Gasherd gekocht. Erschreckend ist vor allem, dass vielen Mädchen und Frauen auf der Station die allgemeine Grundversorgung fehlt, wie beispielsweise frische Verbände, Schmerzmedikamente oder ausreichende Infusionen.
Unsere Wochenendtrips
An den Wochenenden waren wir so gut wie immer außer Haus. Wir besuchten verschiedene Ausflugsorte und Sehenswürdigkeiten oder verbrachten auch mal gerne den ganzen Tag am Strand.
Die Ausflüge unternahmen wir oft gemeinsam mit einigen Physios des Krankenhauses. Die Trips führten uns beispielsweise zu zahmen Krokodilen im Kachikally Crocodile Pool, zu außergewöhnlichen Vögeln und lebhaften Affen im Bijilo Forest Park oder zu abenteuerlichen Insel-, Boots- und Waldtouren. Für den kleinen Hunger zwischendurch kauften wir häufig Tapalapa, ein unserem Baguette ähnlichem Brot, das man dort an vielen kleinen Ständen bekommt. Anfangs haben wir die Brote immer trocken gegessen. Mit der Zeit wurden wir mutiger und probierten schließlich alle möglichen Brotfüllungen aus. Besonders eine Variante entwickelte sich zu meinem Favoriten: Tapalapa gefüllt mit Spaghetti, Bohnen, Hühnchen, einer scharfen Sauce und Majo oben drauf. Total ungewöhnlich aber super lecker!
Rückblickend erinnere ich mich gern an die sechs Wochen in Gambia zurück.
Ich habe viele Erfahrungen in einem Land mit fremden Kulturen gesammelt und neue Freundschaften geschlossen, die ich Dank WhatsApp aufrechterhalten kann.