Interview mit VOD-Mitglied, Osteopathin Hildegard Winkler aus Osnabrück
VOD: Frau Winkler, Sie engagieren sich im afrikanischen Gambia gemeinsam mit Kollegen des Vereins „Gambia-Solidarität“ für Menschen mit Handicap. Wie können Sie als Osteopathin helfen?
Hildegard Winkler: Osteopathische Diagnostik und Behandlung biete ich in Gambia nicht nur für Menschen mit Handicap an. Dadurch, daß die orthopädische Werkstatt der „Gambian Association of the Physically Disabled“ (GAPD), mit der wir mit unserem Verein kooperieren, an der einzigen Universitätsklinik von Gambia angeschlossen ist, habe ich vor allem im Small Teaching Hospital in Banjul Kontakt mit PatientInnen gehabt. Die medizinische Versorgung in dem westafrikanischen Land, eines der ärmsten Länder der Welt, ist katastrophal. Das fängt schon bei der mangelhaften Ausbildung von Medizinern und Angehörigen der medizinischen Berufe an. Die Medizin ist grundsätzlich genauso klassisch ausgerichtet wie hier in Europa. Für die Diagnostik mangelt es aber an Gerät, auf die sich unsere klassische Medizin so gerne stützt. Da habe ich als Osteopathin natürlich ganz andere Möglichkeiten. Dadurch, dass ich meine Augen, Ohren und Hände zur Diagnostik und Behandlung nutze, bin ich unabhängig von Maschinen – und – nicht zu vergessen, auch von Stromausfällen. Natürlich gibt es auch in Gambia massive strukturelle Läsionen, bei denen ich nicht kurativ, sondern nur lindernd behandeln kann. Aber die Vielzahl der funktionellen Erkrankungen, die auch in Gambia die Menschen leiden lassen, lassen sich hervorragend osteopathisch behandeln, ohne dass Geräte oder Medikamente, die selten vorhanden sind, benötigt werden. Leider ist es in Gambia so, dass als „Allroundmedikament“ Paracetamol angewendet wird, was, wenn überhaupt, nur kurzfristig Symptome lindern kann.
VOD: Haben Sie konkrete Behandlungsbeispiele?
Hildegard Winkler: Beispiele gibt es viele. Was mir besonders hängengeblieben ist, ist die typisch gambische Behandlung von Rückenschmerzen ohne konkrete Diagnostik mit Paracetamol und Bestrahlungen aller Art. Meine Art der osteopathischen Diagnostik, von Anamnesegespräch bis Untersuchung, war den medizinischen KollegInnen sehr fremd. Dass die Hände benutzt werden können, um Blockaden auf allen Gewebeebenen zu lösen, ist dort nicht bekannt. Ich konnte einige PatientInnen mit Schmerzsyndromen wenig aufwendig und mit viel Erfolg behandeln. Auffällig in Untersuchung und Anamnese war häufig die sehr einseitige Ernährung, die aufgrund der Armut wenig zu ändern ist, die aber zu vielen Problemen des Gastrointestinaltraktes führt. Hier ist die osteopathische Behandlung optimal, das Gewebe kann leicht vitalisiert und mobilisiert werden, und die Beschwerden sind schnell gelindert.
VOD: Wann sind Sie das erste Mal in Gambia gewesen, und wie oft waren sie seitdem dort?
Hildegard Winkler: Das erste Mal war ich persönlich 2016 in Gambia. Die „Gambia-Solidarität“ arbeitet aber bereits seit 15 Jahren mit der GAPD zusammen. Es hat lange gedauert, bis ich meinen Kontakt, der per Email aufrechterhalten wurde, durch einen persönlichen Besuch intensivierte. Aber bereits bei meinem ersten Besuch haben mich Westafrika und Gambia gepackt. Das schöne Land hat mich begeistert, besonders die Menschen, die in absoluter Armut leben, aber dennoch eine Gelassenheit ausstrahlen, wie sie den Menschen im übersatten Europa fremd ist, hat mich fasziniert. Fast beschämt hat mich die enorme Gastfreundschaft, wenn ich daran denke, wie unfreundlich hier in Deutschland AfrikanerInnen aufgenommen werden. Deshalb war klar, dass ich von nun an jedes Jahr nach Gambia reisen werde; so war dies meine zweite Fahrt. Da ich meine Fähigkeiten unentgeltlich der Universitätsklinik zur Verfügung stelle und auch kleine Seminare für medizinische Berufe gebe, bin ich Gast der Universität und in einem Appartement der Universität untergebracht. Das ist sehr schön, da ich so mitten in der gambischen Stadt stecke und afrikanisches Leben voll mitbekomme. Touristen sehe ich so keine, und das ist sehr bereichernd.
VOD: Gibt es Ihrer Kenntnis nach in Gambia andere Osteopathen/innen?
Hildegard Winkler: So wie ich es mitbekommen habe, ist Osteopathie in Gambia völlig unbekannt. Es war auch nicht möglich zu erklären, dass ich in Deutschland unter dem Titel „Heilpraktikerin“ arbeite. Für die Gambier war ich schlicht „Dr. Hilda“ und gleichbedeutend mit einer Ärztin.
VOD: Was treibt Sie persönlich zu diesem Engagement?
Hildegard Winkler: Für mich ist das Engagement eine politische Frage. Die reiche Welt – unter anderem Europa – hat eine große Verantwortung für die Zustände in den Ländern Afrikas. Angefangen bei der Kolonisation bis hin zu heutiger Ausbeutung der Länder und Zerstörung ganzer Landschaften und auch großer Wirtschaftsbereiche, ist die Ursache für die Armut und Perspektivlosigkeit zu einem großen Teil bei uns zu suchen. Selbst klassische Entwicklungshilfe findet fast nur statt, wenn die reichen Länder davon profitieren. Mir ist es wichtig, mit den KollegInnen in Gambia auf Augenhöhe zu arbeiten. Es klingt heute schon abgedroschen, aber das Wort von „Fluchtursachen bekämpfen“ ist richtig. In gemeinsamer Arbeit schaffen wir Perspektiven für Menschen dort, damit sie sich nicht in Verzweiflung aufmachen müssen auf einen häufig tödlich endenden Fluchtweg. Denn kein Mensch verlässt gerne seine Heimat, seine Familie und seine sozialen Zusammenhänge. Die Not, für die wir große Verantwortung haben, zwingt viele Menschen in die Migration. Und was sie dann hier erleben, ist für viele der Flüchtlinge hart, wenig wertschätzend und demütigend. Wenn ich nur ein winziges Stück für eine gerechte Welt tun kann, so will ich das tun.
VOD: Ihr Verein unterstützt eine gambische Nichtregierungsorganisation (NGO) beim Betrieb einer in Westafrika einmaligen orthopädischen Werkstatt. Was genau bietet die Werkstatt?
Hildegard Winkler: Tatsächlich ist diese Werkstatt für ganz Westafrika einmalig. Da sie von einer NGO betrieben wird, in Zusammenarbeit mit uns, ist es möglich, dass hier PatientInnen völlig unentgeltlich mit Hilfsmitteln aller Art versorgt werden. Das heißt, nicht nur GambierInnen suchen die Werkstatt auf, auch Menschen aus dem Senegal, Mali und Guinea z.B. Gäbe es diese Werkstatt nicht, wären alle, die für die Kosten der Hilfsmittelversorgung nicht aufkommen können, nicht versorgt, denn so etwas wie ein Gesundheitssystem gibt es in fast allen afrikanischen Ländern nicht. Konkret: Wer sich keinen Rollstuhl leisten kann, muß zuhause im Bett bleiben.
VOD: Was haben Sie persönlich als Osteopathin zukünftig in Gambia vor?
Hildegard Winkler: So lange wie ich noch in Deutschland eine Praxis betreibe, werde ich einmal im Jahr für ein paar Wochen nach Gambia fahren, um weitere Projekte mit unserer Partnerorganisation zu planen und durchzuführen; z.B. wollen wir innerhalb der nächsten Jahre ein Gästehaus bauen, damit die PatientInnen, die lange Wege auf sich nehmen, übernachten können. Osteopathisch werde ich weiterhin meine Fähigkeiten anbieten für alle, die es gebrauchen können und ich werde auch weiter Seminare an der Universität abhalten. Wenn ich mal in Rente gehe und noch irgendwie fit bin, werde ich längere Zeiträume in Gambia verbringen.
VOD: Dann wünschen wir Ihnen dabei viel Erfolg. Vielen Dank für das Interview!