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(c) Junge Welt 2017
Jammeh sucht Konfrontation
Gambias Präsident spricht von Kriegserklärung des westafrikanischen Staatenbunds ECOWAS und droht mit Eskalation. Söldner für Leibgarde rekrutiert
Christian Selz, Kapstadt
Die Lage in Gambia spitzt sich weiter zu. Wie die Online-Zeitung Freedom Newspaper am gestrigen Mittwoch berichtete, habe der Kommandeur der National Republican Guard (NRG), General Saul Badjie, begonnen, Uniformen an Rebellen auszugeben. Rekrutiert würden vornehmlich Söldner aus anderen westafrikanischen Ländern wie Liberia, Sierra Leone, Mali und Senegal, dem einzigen Nachbarstaat Gambias. Die NRG gilt als Leibgarde des amtierenden gambischen Präsidenten Yahya Jammeh, der trotz seiner Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen am 1. Dezember vergangenen Jahres nicht abtreten will.
Nach erfolglosen Verhandlungsversuchen hatte die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (Economic Community of West African States, ECOWAS) am Donnerstag vergangener Woche beschlossen, Truppen nach Gambia zu entsenden. Die Einheiten der Eingreiftruppe des Staatenbundes (ECOWAS Standby Force, ESF) sollen dem Mandat zufolge unter Führung Senegals stehen. Die Mission hat zwei erklärte Ziele: Zuvorderst soll »die Sicherheit des gewählten Präsidenten, politischen Führers und der gesamten Bevölkerung« gewährleistet werden, außerdem sollen »die Resultate der Präsidentschaftswahlen aufrechterhalten« werden. Im Klartext bedeutet das: Wenn Jammeh die Macht nicht an seinen Kontrahenten Adama Barrow übergibt, dem er knapp unterlegen war, will die ECOWAS ihn militärisch dazu zwingen. Als Ultimatum gilt der 19. Januar, der Tag, an dem Barrow der gambischen Verfassung nach vereidigt werden müsste.
Hoffnungsträger der Opposition: Adama Barrow, politisch bislang unauffällig und nur als Geschäftsmann bekannt, gewann den Urnengang am 1. Dezember klar gegen Jammeh. Quelle: Der Spiegel
Doch Jammeh denkt nicht daran, einzulenken. Obwohl er seinem Widersacher zunächst zum Wahlsieg gratuliert und seine Niederlage eingestanden hatte, erklärte er das Ergebnis, eine Woche nach der Abstimmung, für ungültig. Just nachdem eine führende Oppositionspolitikerin in einem Interview mit dem britischen Guardian angekündigt hatte, den scheidenden Präsidenten strafrechtlich verfolgen zu wollen, setzte dieser zur Kehrtwende an. Aufgrund angeblicher Einmischung nicht näher benannter externer Mächte und ebenso unbewiesenen Unregelmäßigkeiten bei Auszählung der Stimmen, verlangt Jammeh Neuwahlen. Seine Partei, die islamisch-konservative Allianz für Patriotische Neuorientierung und Aufbau, hat vor dem Verfassungsgericht Klage gegen die Anerkennung des Wahlergebnisses eingereicht. Das Gericht ist derzeit allerdings nicht urteilsfähig, weil Jammeh selbst vor knapp zwei Jahren den Großteil der Richter entlassen und seitdem keine neuen ernannt hat.
Auf die angekündigte Intervention der ECOWAS reagierte Gambias Staatschef in seiner bereits an Silvester ausgestrahlten Neujahrsansprache am Samstag mit scharfen Worten. Die geplante Truppenentsendung sei »eine Kriegserklärung«, mit der sich die Ecowas als Vermittler »disqualifiziert« hätten, erklärte Jammeh. »Wir sind bereit, dieses Land gegen jegliche Aggression zu verteidigen«, drohte der seit einem Putsch im Jahr 1994 regierende Präsident. Sollte die ECOWAS nicht nachgeben, berge der Konflikt »das Risiko einer Eskalation zu einer militärischen Konfrontation«, so Jammeh.
Der gambische Staatschef bereitet sich darauf offensichtlich bereits vor. Intern geht er derzeit besonders hart gegen Widersacher vor: Drei Radiosender hat Jammeh inzwischen schließen lassen, Polizei und Armee unterdrücken jeden Ansatz von Protest. Der Chef der Wahlkommission, Alieu Momar Njie, floh Berichten der Nachrichtenagenturen AFP und Reuters zufolge am Dienstag nach Senegal – Familienmitglieder erklärten, es habe Mordpläne gegen den Mann gegeben. Gleichzeitig baut das Staatsoberhaupt seine Leibgarde aus. Die Freedom Newspaper zitierte ihre anonyme Quelle in Jammehs Sicherheitsstab mit den Worten, dieser werde »das Präsidialamt nicht ohne Blutvergießen« aufgeben. Jammeh könne »nirgendwo hin«, »allen Anzeichen nach« sei er »bereit zum Krieg«, so der Informant, der gar behauptete, Jammeh wolle »vor dem Ende seiner Herrschaft einen Völkermord begehen«. Ob der Militärapparat des kleinsten afrikanischen Flächenstaates zu größerem Widerstand überhaupt in der Lage ist, scheint angesichts der Übermacht der ECOWAS jedoch fraglich.
Ein Eingreifen westlicher Mächte muss Gambias Langzeitpräsident zumindest kaum befürchten. Die USA, die Europäische Union und Großbritannien hatten Jammeh zwar in einer gemeinsamen Erklärung am 20. Dezember zur Machtübergabe aufgefordert und das Vorgehen der ECOWAS »willkommen« geheißen. Seitdem haben Brüssel, London oder Washington sich zur Lage in Gambia, dessen wichtigstes Wirtschaftsgut Erdnüsse sind, aber nicht weiter geäußert.
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